Samstag, 31. Oktober
„Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben…“
Zum heutigen Reformationsfest erinnere ich an Argula von Grumbach.
Im Jahr 1523 schreibt die 31Jährige Ehefrau und Mutter von vier Kinder einen Brief an die gelehrten Männer der Universität Ingolstadt und fordert sie zu einem theologischen Disput heraus. Auf Deutsch, denn Latein, die damalige Sprache in diesen Kreisen, beherrscht sie nicht. Mit dieser Aufforderung setzt sie sich für den jungen Lutheranhänger Arsacius Seehofer ein, der für die reformatorischen Ideen Werbung macht, was den Herzögen Bayerns wiederum nicht schmeckt. Sie haben es sogar strengstens verboten. Der Mann soll abschwören und wird ins Kloster verbannt. Argula, selbst Anhängerin der lutherischen Ideen, tritt für ihn ein. Eine Sensation, ein Skandal!
Argula, die schon als Zehnjährige eine eigene Bibel in deutscher Sprache besaß, argumentiert eben aufgrund ihrer Bibelkenntnis. Sie weiß und erinnert daran, dass Jesus ausführlich mit Frauen diskutierte. Für sie ist klar: zum Bibelstudium und zum Bekenntnis des Glaubens sind Männer und Frauen berufen.
Sie schreibt: „Auch wenn es dazu kommen sollte, wovor Gott sei, dass Luther widerruft, so soll es mir nichts zu schaffen machen. Ich baue nicht auf sein, mein, oder sonst eines Menschen Verstand, sondern allein auf den wahren Felsen Christus selber.“
Lesen Sie hier, wie die Sache weiterging: https://www.luther2017.de/de/wiki/frauen-bewegen-die-kirche-seit-luther…
Das „Priestertum aller Gläubigen (Getauften)“ zu dem wir alle berufen sind, will uns Mut machen, immer wieder selbst die Bibel zu lesen, Kraft, Rat, Ansporn, Trost aus ihren Texten zu schöpfen und dadurch stark und selbstbewusst den Herausforderungen des Lebens zu begegnen.
P.S. Es gibt zahlreiche Bibellesepläne, auch für das Smartphone. Hier z.B. von der Deutschen Bibel Gesellschaft:
https://www.die-bibel.de/bibeln/hilfen-zum-bibellesen/bibelleseplaene/
Verena Übler
Freitag, 30.Oktober
Den Wald vor lauter Bäumen
Dieses Bild hatte ich neulich auf einer Wanderung vor Augen und auf einmal kam mir das Sprichwort „Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen“ in den Sinn. Vor lauter Details hat man plötzlich das große Ganze nicht mehr im Blick oder übersieht das, was eigentlich naheliegt. Die Redewendung stammt vom Dichter Christoph Martin Wieland (1733-1813). Was machen Sie, wenn Sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen, wenn Sie nicht mehr „durchblicken“ und sich in einer Angelegenheit Klarheit wünschen?
Felix Breitling
Donnerstag, 29. Oktober
Requiem für Verschwundene
„Von Amts wegen“ - so lautet die offizielle Bezeichnung für Bestattungen, bei denen die Stadt keine Angehörigen oder Bekannte finden konnte, die die Totenfürsorge und die Kosten übernehmen würden.
„Von Amts wegen“ - das bedeutet meistens eine Bestattung, bei der außer der Pfarrerin oder dem Pfarrer nur das Friedhofspersonal anwesend ist. In München geschieht das rund 600 mal jedes Jahr, und es betrifft auch Menschen aus unserer Kirchengemeinde.
„Von Amts wegen“ - so werden Menschen bestattet, die zum Zeitpunkt ihres Todes anscheinend keine nahen Freunde und Verwandte mehr haben, die am Grab um sie trauern.
Was dazu geführt hat, darüber kann man nur spekulieren. Warum waren keine sozialen Kontakte mehr vorhanden? Diese Menschen haben doch mitten unter uns gelebt, hatten Familie und Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen, waren vielleicht in Vereinen und anderen Gruppen engagiert. Sie haben bestimmt Spuren hinterlassen, es erinnert sich sicher jemand an sie. Aber am Ende des Lebens waren sie allein und einsam.
Passiert das nur in der Anonymität einer Großstadt, wo man oft nicht einmal die Menschen kennt, die in der Wohnung daneben, darunter oder darüber wohnen?
Wie nehmen wir die Menschen um uns herum in unserer Gesellschaft wahr?
Noch bis zum 22. November ist neben der Kirche St.Lukas eine bemerkenswerte Hörinstallation zu diesem Thema aufgebaut, für einsam und unbemerkt Verstorbene und für diejenigen, die zukünftig einsam und unbemerkt sterben werden. Die Schauspielerin und Regisseurin Gesche Piening hat sich dabei exemplarisch mit sechs Frauen und Männern beschäftigt, die in München von Amts wegen bestattet wurden. An den sechs einzelnen Hörstationen sind die wenigen bekannten Lebensdaten zusammengetragen und es sind Requien zu hören, die für alle sechs komponiert wurden. Ein Requiem - diese Ehre wird sonst nur ganz besonderen Menschen zuteil. Aber ist nicht jeder einzelne Mensch etwas ganz Besonderes?
Mathias Brandstätter
Mittwoch, 28. Oktober
Beppo, der Straßenkehrer
„Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt.
Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst zu tun und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du?
Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.
Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig.“
(aus: Michael Ende, Momo; hg. Thienemann Verlag; 19. Auflage, 2005)
Verena Übler
Dienstag, 27. Oktober
Tamar – mutig, entschlossen, willensstark
Welch ein Schicksal. Zwei Männer, zweifache Witwe. Der Bibeltext erzählt einfach: Es missfiel dem Herrn. Und deshalb ließ er sie sterben. Die beiden Männer fanden keine Gnade vor Gott.
Doch die Geschichte erzählt nicht die Geschichte der beiden Männer, sondern einer Frau. Sie erzählt die Geschichte von Tamar. Eine Frau, die ihren Platz in der Geschichte Israels sucht. Ungewöhnlich.
Eine ungewöhnliche Frau.
Ungewöhnlich auch, weil ihr tatsächlich ein Platz in der Geschichtsschreibung eingeräumt wird – mitten in der Josefsgeschichte. Hineingeschoben. Bewusst dazwischen geschaltet.
Mutig, entschlossen und willensstark setzt Tamar ihr Recht durch.
Möchten Sie mehr von Tamar erfahren? Dann lesen Sie doch 1. Mose 38
https://www.bibleserver.com/LUT/1.Mose38
Im Übrigen war sie Thema im letzten Abendgottesdienst in der Reihe „Stark und selbstbewusst – biblische Frauenpower“.
Carolin Lochner
Montag, 26. Oktober
Vergleichen
„Talk zwischen Freundinnen“ hieß die Sendung im Radio. Zwischen zwei Musiktiteln fragte die eine: „Kennst Du das eigentlich auch, dass Du Dich mit anderen vergleichst?“ „Ja schon, ich glaube, das kennen wir doch alle, oder?“ antwortete die andere. Dann entwickelte sich ein Gespräch über das sich Vergleichen, über Neid, über Selbstbewusstsein und Konkurrenz.
„Ja“, denke ich mir, während ich das höre, „das kenne ich auch, dass ich mich mit anderen vergleiche.“ Leider. Denn gut tut es mir nicht. „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“ schrieb der dänische Philosoph Sören Kierkegaard. Damit hat er sicherlich recht – und trotzdem ertappe ich mich immer wieder dabei.
Sich vergleichen, Konkurrenz und Neid: Ein uraltes Thema, schon in der Bibel: Kain und Abel, Joseph und seine Brüder – auch unter den Jüngern Jesu spielte es eine Rolle.
Vielleicht kennen Sie es aus Ihrer eigenen Geschichte, dass Ihre Eltern Sie mit anderen Kindern oder Ihren Geschwistern verglichen haben. Dass Sie selbst solche Vergleiche anstellen. Dass Sie sich mit anderen vergleichen und es Ihnen nicht guttut.
Ich denke mir: Wir bringen uns um unsere Einzigartigkeit, wenn wir uns mit anderen vergleichen. Um die Einzigartigkeit unserer Persönlichkeit und unserer Lebensgeschichte. Oft ist es schmerzhaft, unsere Geschichte anzusehen. Aber ich glaube, Gott sieht sie liebevoll an und bei ihm ist sie geborgen.
Wenn ich merke, ich gerate ins Vergleichen, dann rufe ich mir mittlerweile zwei Bibelworte ins Gedächtnis, die ich als heilsam empfinde:
„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!“ (1. Joh 3,1)
„Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.“ (Ps 139, 14)
Felix Breitling
Sonntag, 25. Oktober
Sternbilder
Heute hat unsere Konfi-Gruppe 2019_2020 den Gottesdienst gestaltet. Sie haben sich Gedanken darüber gemacht, was im Leben wichtig ist. Dazu durften sie ihr eigenes Sternbild auf einer Karte mit vielen „Werte-Sternen“ erstellen. Es durften jedoch nur 5 Sterne ausgewählt werden. Die Anregung dazu haben wir bei konfiweb.de bekommen. Es sind beeindruckende Sternbilder entstanden. Einige davon stelle ich hier vor:
„Mein Sternbild hat die Form einer Pyramide mit Stern. Ich habe die Sterne Vertrauen, Gemeinschaft, Verantwortung, Glaube und Liebe ausgewählt. Vertrauen ist essentiell für das Zusammen leben mit anderen Menschen. In der Gemeinschaft findet man in jeder Situation Hilfe. Verantwortung gibt mir Selbstvertrauen. Der Glaube verbindet mich mit vielen anderen Menschen. Die Liebe fängt mich an jedem Tiefpunkt wieder auf.“
„Mein Sternbild hat die Form ‚Spitzschuh‘. Meine Sterne sind Familie, Freundschaft, Hoffnung, Gemeinschaft, Vertrauen. Das sind alles wichtige Eigenschaften, um eine Krise zu überstehen.“
„Mein Sternbild heißt ‚Kraftquellen der Zukunft‘. Die Sterne dazu sind Glaube, Glück, Zuhause, Freundschaft, Liebe. Glaube gibt Halt; auf das Glück kann man vertrauen; ein Zuhause haben, in das man immer zurückkommen kann; Freunde geben Halt; geliebt zu werden, macht dich zu einem anderen Menschen.“
„Mein Sternbild hat die Form eines langen Pfeils. Er wird aus den Sternen Familie, Freundschaft, Gewinn, Natur und Reden. Darin verbinden sich für mich die wichtigsten Punkt im Leben. Den Gegensatz im Leben dazu bildet ein zweites Sternbild, das aus den Sternen Alleine, Schweigen, Hass, Verlust und Krieg besteht.“
„Mein Sternbild sieht aus wie ein Hut. Es gehören dazu die Sterne Liebe, Glaube, Gemeinschaft, Musik und Zuhause. Sie sind mir am wichtigsten und ich möchte sie nicht missen.“
Vielleicht haben Sie Lust, Ihr persönliches Sternbild zu erstellen? Sie können sich die Karte hier herunterladen: https://www.konfiweb.de/sternbild.php
Im Gottesdienst haben die Konfirmand*innen ihre Sternbilder mit dem Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lukas 10, 35-47) in Zusammenhang gebracht.
Außerdem haben sie von der Begrüßung bis zum Segen alle Teile des Gottesdienstes selbst formuliert oder ausgesucht und im Gottesdienst übernommen. Das haben sie großartig gemacht! Mein Kollege Diakon Werner-Malte Hahn und ich, die den Kurs zusammen mit einem Team aus ehrenamtlichen Jugendleiter*innen leiten, sind sehr stolz auf sie.
Verena Übler
Samstag, 24. Oktober
Geduld
Auf einer Skala von 1 – 10, wie würden Sie Ihre Fähigkeit zu Geduld einstufen?
Die 1 bedeutet, Ihr Geduldsfaden ist dick und fest, doppelt gewebt, reißfest und unendlich lang. Es muss schon viel passieren, bis der mal wirklich reißt.
Die 10 dagegen bedeutet, Ihr Geduldsfaden ist dünn und fadenscheinig. Er reißt bei jeder Kleinigkeit und ist auch nicht besonders lang.
Geduld. Von klein auf wird sie uns gepredigt. „Sitz still und warte bis du an der Reihe bist!“, „Drängel nicht so, eine*r nach dem anderen.“, „Gut Ding will Weile haben!“.
Mit dem Alter wächst bei den meisten die Fähigkeit zur Geduld. Es ist allerdings eine Typsache. Wie ist das bei Ihnen?
Nehmen Sie sich doch ein paar Minuten und überlegen Sie:
- Wo reißt bei mir der Geduldsfaden?
- Auf was kann ich unmöglich warten? Wo hat alle Geduld bei mir ein Ende?
- Wo habe ich Geduld von anderen erfahren - oder Ungeduld?
- Wo hat mich Ungeduld/Geduld unter Druck gesetzt, mein Leben, meine Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt?
Im Matthäusevangelium (Matth 18, 21-35) gibt es eine Geduld-Geschichte, die deutlich macht, welchen Wert Geduld hat und wie sehr wir Menschen darauf angewiesen sind, dass andere geduldig mit uns sind.
„Barmherzige Geduld“ ist es, die wir für ein gelingendes Miteinander brauchen.
Orientieren können wir uns dabei an Gott selbst, denn Gottes Geduld mit uns ist grenzenlos.
Verena Übler
Freitag, 23. Oktober
Petrus in der U-Bahn
Bei einer Fortbildung haben wir den Auftrag bekommen, ein Gespräch aufzuschreiben, das ich mit einer biblischen Figur führe, die ich mir aussuche. Wer reizt mich mit seiner Geschichte, mit wem wollte ich schon immer mal sprechen, weil ich so manches nicht verstanden habe oder weil ich mich geärgert habe…
Zeit und Ort des Gesprächs können im Damals sein oder im Hier und Heute – so wie Sie es möchten. Es kann auch eine Begegnung mit Noah im Supermarkt, mit Rut auf einer Parkbank oder mit Petrus in der U-Bahn sein.
Ich: Petrus, eins möchte ich von Dir wissen: Warum musstest du eigentlich unbedingt zu Jesus übers Wasser gehen?
Petrus: Ich hätte nicht gedacht, dass er plötzlich zu mir sagt „Komm her“. Da habe ich es ehrlich gesagt selbst mit der Angst zu tun bekommen in diesem Moment. Oft habe ich da Gefühl, ich will alles, aber dann…
Ich: Und dann?
Petrus: Ich habe es gewagt. Ich bin losgegangen. Auf dem Wasser … Es hat mich getragen.
Vielleicht haben Sie ja Lust, weiterzuschreiben. So ähnlich oder auch ganz anders
Oder vielleicht haben Sie Lust, jemand anderen zu treffen. Maria Magdalena, Batseba oder Zachäus. Ich wünsche Ihnen spannende Begegnungen.
Felix Breitling
Donnerstag, 22. Oktober
Lieder, die uns begleiten
Ein paar Takte eines Radiosongs, eine Handyklingelmelodie auf der Straße, Musik aus dem Kopfhörern der Nachbarin – und schon nistet er sich bei uns ein: der „Ohrwurm“.
Zum Glück verschwindet er meistens schnell wieder, lässt sich von anderen Geräuschen oder einem anderen Ohrwurm vertreiben. Oft ist es aber recht nervig, wenn Melodiefetzen, die wir eigentlich nicht hören wollen, sich hartnäckig in unserem Ohr einnisten. Dann merken wir, wie schwierig es ist, an etwas gezielt nicht zu denken.
Doch manchmal passt die Musik gerade zu unserer Stimmung. Vielleicht beflügelt sie uns sogar und wir können ein Stück im Takt der nur für uns hörbaren Musik laufen. Oder mittrommeln und mitpfeifen – was man aber besser nur tun sollte, wenn man alleine ist.
Es sind ganz spezielle Ohrwürmer, die mir immer sehr willkommen sind: nach dem Sonntagsgottesdienst geht mir oft eines der Lieder im Kopf herum, meistens das Schlusslied. Ich freue mich, wenn die Melodie nicht so schnell verschwindet und auch später am Tag unerwartet wieder auftaucht. Und es gibt Choräle, die mich schon seit vielen Jahren begleiten, die ich mit bestimmten Situationen verbinde. Es tut mir gut, wenn ich sie immer wieder hervorholen kann.
Vor ein paar Tagen konnte ich erfahren, dass es nicht nur mir so geht. Im Lauf einer kirchlichen Umweltkonferenz feierten wir zusammen einen Gottesdienst, in dem wir auch über unsere individuellen spirituellen Kraftquellen sprachen. Die Allermeisten berichteten übereinstimmend, dass vor allem bestimmte Choräle ihnen Kraft, Trost und Hilfe in schwierigen Phasen gäben.
Ja, unser Gesangbuch mit seinen jahrhundertalten und neueren Texten und Melodien ist ein großer Schatz, den man nicht zu hoch einschätzen kann.
Martin Luther, der neben der Theologie auch Musik studiert hatte, komponierte für die erste Gesangbuchausgabe selbst über 30 Choralmelodien. Und er sagte einmal: „Es fließt mir das Herz über vor Dankbarkeit gegen die Musik, die mich so oft erquickt und aus großen Nöten errettet hat.“
Mathias Brandstätter
Mittwoch, 21. Oktober
Die Losung heute lautet:
Ein Engel rührte Elia an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er stand auf, aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes.
1. Könige 19, 5.8
Und dazu wurde folgender Lehrtext ausgesucht:
Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
2. Korinther 4, 7
Über die Eliageschichte habe ich im Juli schon einmal einen ‚Gedanken zum Tag‘ geschrieben. Hängen geblieben bin ich diesmal an dem zweiten Vers. Was soll das bedeuten „Schatz in irdenen Gefäßen“? Vor meinem inneren Auge tauchen gleich die schönen Keramikschalen und -krüge auf, die es bei der Auer Dult gibt. Jedes Mal streiche ich um einen bestimmten Stand und überlege, ob ich nicht doch dringend noch ein Haferl oder eine Müslischüssel brauche.
Ich habe eine andere Übersetzung zu Rate gezogen. Martin Dreyer hat vor einigen Jahren die sogenannte „Volx Bibel“ herausgebracht. Die ganze Bibel übersetzt in einer „jugendgemäßen“ Sprache.
Dort lautet der Vers so:
„Diesen derben Schatz haben wir in uns armselige Würstchen hineingelegt bekommen, in einen Körper, der so leicht zu zerstören ist. So merkt jeder, dass alles Gute, was von uns kommt, eigentlich von Gott ausgeht.“
Ah, jetzt wird mir das Ganze schon klarer. Das „irdene Gefäß“, das sind wir Menschen, von Gott geschaffen aus Lehm. Der Schatz, das ist die Frohe Botschaft, die Gott in uns legt. Und dieser Schatz gibt uns Kraft, überschwängliche Kraft. Aus dieser Kraft heraus leben wir und machen sie mit unserem Reden und unserem Tun für andere sichtbar.
Paulus betont das „irdene Gefäß“, weil ihm wichtig ist, dass wir Christ*innen nicht eingebildet werden und denken, wir könnten uns mit Gott auf eine Stufe stellen.
So zerbrechlich, wie ein Gefäß aus Ton sind auch wir Menschen.
Unsere Kraft kommt von Gott.
Dass sie kommt, jeden Tag auf’s Neue, darauf lasst uns mit Elia vertrauen.
Verena Übler
Dienstag, 20. Oktober
Pause
Mich fasziniert schon immer der letzte Schöpfungstag. In der Bibel wird nicht erzählt, dass die Erde in 6 Tagen erschaffen wurde und Gott ruhte sich am nächsten Tag aus. Nein, es wird gesagt: In 7 Tagen erschuf Gott Himmel und Erde. Inklusive des letzten Schöpfungstages. An diesem letzten Schöpfungstag wird nichts geschaffen. Gott ruhte sich „nur“ aus - und heiligte den Tag.
Die Pause gehört zu den Schöpfungstagen hinzu. Pause, Ruhe, Atemholen. Erst dann ist die Schöpfung vollendet. Mit dem siebten Tag. Auch am Ende jedes einzelnen Schöpfungstages nimmt Gott sich Zeit, seine Arbeit, sein Tun des Tages zu betrachten. Er hält einen Moment inne, blickt zurück stellt fest: Es ist gut.
Wie einfach es klingt und doch ist es so schwer. Sich Zeit nehmen. Den Tag am Abend als gut befinden. Und sonntags zur Ruhe kommen, den Kopf frei bekommen. Erst dann ist die Woche vollendet.
Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. (1. Mose 2, 2-3)
Carolin Lochner
Montag, 19. Oktober
Fürchtet Euch nicht?
Wie gestalten wir in diesem Jahr den Heiligen Abend und Weihnachten in der Kirchengemeinde? Diese Frage beschäftigt uns und viele andere Gemeinden derzeit intensiv. Die Frage, wie wir in diesem Jahr Weihnachten feiern werden, behandelt auch Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung in seiner Wochenvorschau "Prantl`s Blick" mit dem heutigen Titel „Fürchtet Euch nicht?“.
Ein kurzes Zitat aus seiner Wochenvorschau, das mich zum Nachdenken angeregt hat:
„Vor zweitausend Jahren waren, wie die Weihnachtslegende sagt, Hirten auf dem Feld. Da geschahen plötzlich höchst bedrohliche Dinge. Deshalb heißt es in der Geschichte: ,Und sie fürchteten sich sehr.' Diese Angst der Hirten wird an Weihnachten üblicherweise wenig beachtet. Das wird in diesem Jahr anders sein. Und wir werden, begieriger als sonst, fragen, was es bedeutet, wenn der Engel kommt und sagt: ,Fürchtet Euch nicht.' Es schadet nichts, wenn wir über diese Weihnachtsfrage schon im Oktober nachdenken.“ (Heribert Prantl)
Diesen Abschnitt und die ganze Wochenvorschau können Sie lesen unter:
https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-weihnachten-corona-1.5079970
Felix Breitling
Samstag, 17. Oktober
Ganz anders
Heute schon mal ein kleiner Vorgriff auf die Predigt am Sonntag. Der Wortkünstler Udo Lindenberg hat ein Lied geschrieben mit dem Titel „Ganz anders“. Er greift ein Zitat von Ödin von Horvath auf: „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur so selten dazu.“
Es geht darum, ob wir uns immer so zeigen, wie wir wirklich sind. Haben wir verschiedene Ichs? Welches Ich zeigen wir wann und wo?
Und die Hauptfrage: Warum zeigen wir uns nicht immer so, wie wir wirklich sind?
Ich glaube, das hat viele Gründe: Unsicherheit, Dazugehörenwollen, Selbstzweifel, Sich-selbst-nicht-gut-kennen, Übermut, Experimentierfreudigkeit, Verletzlichkeit und vieles mehr.
Man muss schon ein gutes „standing“ haben, also gut gegründet sein auf festem Boden, um das wahre Ich freimütig zeigen zu können.
Für mich ist die Liebe Gottes dieser feste Boden. Er ist nur wegen der eben genannten Gründe nicht immer zu spüren. Was kann man tun? Vertrauen wagen. Vertrauen auf diese Liebe Gottes, damit ich – damit wir öfter und nicht nur selten dazukommen, unser „ganz anderes“ Ich zu zeigen!Verena Übler
Freitag, 16. Oktober
Für mich ist es eines der Bibelworte des Jahres 2020 und ich möchte es gerade jetzt ins Gedächtnis rufen: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Timotheus 1,7)
Lassen wir uns nicht beherrschen von der Furcht. Denn Gott hat uns den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit gegeben.
Der Geist der Kraft holt uns aus der Enge in die Weite und eröffnet Handlungsmöglichkeiten. Der Geist der Kraft kann die Resignation durchbrechen und Mut machen.
Der Geist der Liebe verbindet uns. Ich versetze mich in die andere und den anderen hinein. Liebe deinen Nächsten, denn sie und er ist (nicht) wie du.
Halte inne und dann geh mit Vertrauen den nächsten Schritt. Denn Gott hat uns den Geist der Besonnenheit gegeben.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Felix Breitling
Donnerstag, 15. Oktober
Neue Begegnung
Auch nach fast 30 Jahren in Berg am Laim, entdecke ich in der näheren Umgebung doch immer wieder etwas Neues.
So habe ich es im Sommer erlebt, als ich bei einem Spaziergang nicht die übliche Strecke nahm, sondern spontan einmal anders herum abbog. In einer kleinen Grünanlage inmitten von Wohnblöcken, nur ein paar Meter südlich der vielbefahrenen Berg-am-Laim-Straße, traf ich dann an einem Spielplatz überraschend dieses fröhliche Pärchen auf seinem Holzschiff. Durch die Häuser vom Straßenlärm abgeschirmt, war es eine kleine ruhige Oase, in die die entspannt wirkenden Figuren bestens hineinpassten. Ohne die Abweichung vom gewohnten Weg hätte ich sie bestimmt nicht gesehen.
Sicher, Gewohnheiten und Routinen sind wichtig.
Vieles in unserem Leben würden wir nur schwer bewältigen, wenn wir nicht auf bewährte und gewohnte Abläufe zurückgreifen könnten. Routinen geben uns Sicherheit, und es spart Energie und Zeit, wenn wir nicht ständig überlegen und entscheiden müssen.
Aber auf der anderen Seite ist es auch wichtig, dass wir immer wieder einmal von der Routine abweichen und (im übertragenen Sinn) einen anderen Weg nehmen. Einen Weg, den wir bisher noch nie gegangen sind, auf dem wir uns vielleicht unsicher fühlen. Das ist anstrengend und es kostet Überwindung. Aber nur so machen wir neue Erfahrungen und erweitern unsere Sicht auf die Welt.
Mathias Brandstätter
Mittwoch, 14. Oktober
Charlotte Brontë
Heute kommt der Gedanke zum Tag aus der Bahnhofkirche Zürich. Ich kann ihn voll unterschreiben, denn seit ich als Au Pair in England war, bin ich von Herzen „anglophil“.
Die Frauenpower in den Werken der Schwestern Brontë hat mich auch schon früh beeindruckt. Aber lesen Sie selbst…
https://www.bahnhofkirche.ch/2020/10/07/charlotte-bronte/
Verena Übler
Dienstag, 13. Oktober
Mein Platz
Manchmal bin ich auf der Suche nach meinem Platz. Zum Beispiel abends auf dem Sofa. Nicht, dass nicht klar wäre, wo ich sitze. Aber manchmal stimmt die Sitzart nicht. Manchmal liegt es auch am Kissen. Ich fühle mich nicht ganz am richtigen Platz. Obwohl es ja mein Platz ist. Manchmal ist es schwierig mit meinem Platz.
Wenn ich meinen Platz begrenzen würde, womit würde ich das tun? Man müsste einen guten Weitblick haben und trotzdem geschützt sein. Meinen Platz darf ja auch niemand zerstören. Und gleichzeitig will ich offen sein für eine Betrachtung in Ruhe, dafür, sich nebeneinander stehen oder sitzen lassen zu können.
Mein Platz in der Welt ist schwierig zu benennen. Er ist so abhängig von den anderen. Je mehr ich andere zu mir lasse, umso kleiner wird mein Platz. Je mehr ich andere wegschiebe, umso weniger fühlt sich mein Platz wie ein Platz in der Welt an. Dazugehören und doch ich sein. Ein ständiges Gerangel. Oder doch ein Miteinander?
Mein Platz gehört mir. Mein Platz auf dem Sofa, mein Platz mit Weitblick und doch mit meinen Grenzen, mein Platz für mich und doch mit anderen. Es ist mein Platz, den nur ich so ausfüllen kann, wie ich es kann. Hedwig von Redern hat das in ihrem Gedicht Du stehst am Platz, den Gott dir gab so formuliert: „Bedenk's, den Platz, den Gott dir gab, kann niemand füllen als nur du; es ist nicht gleich, ob du dort stehst, denn grade dich braucht Er dazu.“
Mein Platz ist für mich.
Carolin Lochner
Montag, 12. Oktober
Von morgens 9.00 Uhr bis abends 19.00 Uhr ist die Offenbarungskirche jeden Tag geöffnet. Immer wieder kommen Menschen in die Kirche, zünden eine Kerze an, setzen sich, bleiben eine Zeitlang im Kirchenraum, genießen die Stille.
Vor einiger Zeit hat mich nun jemand auf einen Gedanken in einem Buch aufmerksam gemacht, der mich beeindruckt hat: Alle, die unter der Woche in die Kirche kommen und hier Stille und das Gebet suchen, füllen die Kirche mit Glaubens-,Lebens- und Gebetsspuren, die sich am Sonntag mit den Gottesdienstspuren verbinden. Der Kirchenraum wird mit „Lebensgeschichten angereichert“. Über die Gottesdienstgemeinde am Sonntag hinaus sind dann „auch diejenigen mit anwesend […], welche die Woche über ihr Leben in dieses Kirchengebäude hineingetragen haben.“ Seit ich diesen Gedanken kennengelernt habe, gehe ich anders als früher in den Kirchenraum. Wenn wir am Sonntag Gottesdienst feiern, denke ich an die Glaubens-, Lebens- und Gebetsspuren in der Kirche. Und wenn ich die abgebrannten Kerzen aus dem Sand nehme, dann halte ich inne und werde ich mir bewusst: Jede Kerze hat eine Bedeutung.
(Zitate: Klaus Raschzok, Orte der „Begegnung der Gemeinde mit dem lebendigen Gott“, in: Evangelischer Kirchenbau in Bayern seit 1945, S. 66)
Felix Breitling
Sonntag, 11. Oktober
Predigt von Pfarrer Felix Breitling siehe Predigten zum Nachhören
Samstag, 10. Oktober
Every blade of grass has it’s angel
that bends over it and whispers:
“Grow, grow!”
Jeder Grashalm hat einen eigenen Engel,
der sich über ihn beugt und ihm zuflüstert:
„Wachse, wachse!“
- aus dem Talmud -
Verena Übler
Freitag, 9. Oktober
Meinen Bogen setze ich in die Wolken … (1. Mose 9,13)
Mittwochvormittag in der Grundschule. Wenn die halbe Klasse so gebannt am Fenster steht, ist meistens etwas auf der Berg am Laim Straße passiert. Ein Unfall, Polizei, ein Krankenwagen.
„Herr Breitling, schauen Sie mal.“ Ich sah zuerst auf die Straße und konnte nichts entdecken. „Nein, nicht auf der Straße. Sie müssen in den Himmel schauen.“
Am Himmel stand ein riesiger Regenbogen, der sich wie eine Brücke über die ganze Straße zog. Wir blieben am Fenster stehen und schauten in den Himmel.
Am Abend hatte ich dann in meinem Postfach eine Mail „Regenbogen über der Offenbarungskirche“ mit zwei Fotos vom Regenbogen, diesmal über der Kirche. Ein Gemeindemitglied hatte sie uns geschickt. Ich habe mich sehr über die Mail und die Fotos (eines davon sehen Sie unten) gefreut. Hier nochmal ein herzliches Dankeschön.
In der Bibel ist der Regenbogen das Zeichen für den Bund zwischen Schöpfer und Geschöpf. Nach der großen Sintflut lässt Gott einen Regenbogen am Himmel erscheinen, verbunden mit dem großen Versprechen: Nie wieder werde ich eine solche Flut über die Erde kommen lassen.
Der Regenbogen ist so zu einem Zeichen der Zusage von Gottes Treue und zu einem Zeichen der Hoffnung geworden.
Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt. Steht der Bogen in den Wolken, so werde ich auf ihn sehen und des ewigen Bundes gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen, allen Wesen aus Fleisch auf der Erde. Und Gott sprach zu Noach: Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und allen Wesen aus Fleisch auf der Erde aufgerichtet habe. (1. Mose 9,12-17)
Felix Breitling
Donnerstag, 8. Oktober
Meine fliegenden Untermieter
Diesen Sommer habe ich Untermieter bekommen - bzw. „Übermieter“, denn sie haben sich über meinen Kopf in einer Gaube angesiedelt, direkt unter dem Dach. Wohnraum ist bekanntlich knapp in München, und so ist es verständlich, wenn alle Möglichkeiten genutzt werden.
Allerdings zahlen sie keine Miete, zumindest nicht in bar. Denn es sind Wespen, die sich bei mir einen ziemlich großen Wespenstock gebaut haben.
Ein Nachbar hatte den regen Flugbetrieb als erster entdeckt und fragte mich, was ich dagegen machen werde. Er konnte mir gleich Ratschläge geben, wie ich sie wieder loswerde. Von der Feuerwehr bis zu diversen Unternehmen, die auf die Beseitigung von Wespennestern spezialisiert sind. Auch andere Bekannte, denen ich von meinen neuen Mitbewohnern berichtete, erzählten mir abenteuerliche Geschichten von Wespenbefall und überlegten, was ich dagegen machen könnte.
Ich muss gestehen, dass ich auch kurz darüber nachdachte, wie ich meine Mitbewohner wieder loswerde. Eine Schreckensvision war, dass mich in kurzer Zeit auf der Terrasse Hunderte von Wespen umgeben würden und ich die Wohnung nicht mehr ungestochen verlassen könnte. Wenn man ins Internet schaut, dann geht es in vielen Wespen-Suchergebnissen ja um Gefahr, um Gift und Vertreibung.
Aber dann habe ich etwas länger überlegt und mich gefragt…
- warum eigentlich muss man etwas „dagegen machen“?
- beeinträchtigen oder bedrohen die Wespen mich wirklich (ich habe glücklicherweise keine Allergie)?
- haben sie nicht genauso ein Anrecht auf ein ungestörtes Leben wie ich?
- sind sie nicht ein wertvoller und wichtiger Teil meiner Mitwelt?
Und überhaupt – es ist doch eher umgekehrt. Nicht die Wespen bedrohen uns, sondern wir Menschen sind es, die die Wespen bedrohen. Wespen und unzählige andere Insektenarten werden immer weniger, sie stehen nicht ohne Grund auf roten Listen oder sind zumindest stark gefährdet.
Und wegen der Miete… die Bewohner eines großen Wespenstocks verzehren pro Tag bis zu zwei Kilogramm Blattläuse, Baum- und Pflanzenschädlinge und sie bestäuben viele Pflanzenarten. Das ist eine ganze Menge „Miete“, diese Arbeitsleistung ist eigentlich unbezahlbar.
Also haben wir uns bestens arrangiert. Ich lasse sie dankbar in Ruhe und sie mich. Und falls doch mal eine neugierige Wespe am Kaffeetisch zu lästig wird, dann hilft etwas Wasser aus dem Zerstäuber und sie flüchtet schnell vor dem vermeintlichen Regen.
In wenigen Wochen wird der ganze Stock am Ende des Herbstes sowieso absterben. Nur die junge Königin überwintert und findet hoffentlich nächstes Jahr wieder einen ungestörten Platz für ein neues Nest.
Mathias Brandstätter
Mittwoch, 7. Oktober
Das Lied der Frösche lernen
Als der „große Maggid“ (= jüdischer Wanderprediger) gestorben war, kamen die Schüler zusammen, um sich über ihre Erlebnisse mit ihm auszutauschen. Viele priesen die Weisheit des großen Lehrers.
Als Rabbi Schneur Salman an die Reihe kam, überlegte er lange Zeit. Endlich fragte er die anderen: „Wisst ihr, warum der Meister jeden Morgen zum Sonnenaufgang am See war und eine Zeitlang dort verweilte, ehe er wieder ins Haus zurückkehrte?“
Die Schüler antworteten, das hätten sie nicht gewusst.
Da erzählte der Rabbi: „Der Meister lernte das Lied, mit dem die Frösche Gott loben und preisen. Es braucht viel Zeit, dieses Lied zu lernen.“
Es dauert wahrscheinlich das ganze Leben, um das Lied der Frösche zu lernen. Das Lied, das uns als Menschen aufgetragen ist: Gott zu loben und zu preisen und zu lieben. Ob wir je meisterhaft darin werden? Vielleicht ist das nicht wichtig. Wichtig ist, immer wieder, am besten jeden Tag, in die Natur zu horchen, der Natur zu lauschen. Sie ist es, die von Ewigkeit her dieses Lied singt. Es gilt zu erfahren – ein Leben lang, dass unser Dasein letztlich nichts anderes ist, als ein Lobpreis auf Gott, eine Liebeserklärung an den, der uns geschaffen hat.
Verena Übler
Dienstag, 6. Oktober
Blätter
Immer bunter werden sie in diesen Tagen: die Blätter. Manche wirbeln durch die Luft, vom Wind getragen. Manche strahlen in tausend verschiedenen Farben und schmücken einen Baum. Wie schön, wenn die Sonne auf sie herabschaut und der Wind sie leicht zum Säuseln bringt. Sanft bewegen sie sich hinab und fallen sanft auf die braune Erde. So schön dieses bunte Treiben auch ist, diese Blätter haben auch etwas Melancholisches, Vergängliches. Wie wir Menschen auch sind. In wenige kunstvolle und doch so hoffnungsvolle Worte zum Schluss hat Rainer Maria Rilke (1875-1926) dies gebracht:
https://www.gedichtemeile.de/texte/herbstgedicht-blaetter-rainer-maria-rilke.jpg
Carolin Lochner
Montag, 5. Oktober
„Suchet der Stadt Bestes, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's euch auch wohl“ heißt der Monatsspruch für den Oktober aus dem Buch Jeremia (Jer 29,7). Der Prophet Jeremia schreibt diese Worte in einem Brief an die Menschen, die nach der Zerstörung Jerusalems im Exil in Babylon waren. Sie wissen nicht, wie lange sie dortbleiben werden. Sie wissen nicht, wie ihre Zukunft aussehen wird. Lohnt es sich überhaupt, sich dort auch nur irgendwie einzurichten, dort fern der Heimat, die ihnen verloren gegangen ist?
Jeremia ist da ganz pragmatisch: Suchet der Stadt Bestes, schreibt er, denn wenn`s ihr wohl geht, so geht`s euch auch wohl. Jetzt seid Ihr hier. Engagiert Euch für den Ort wo ihr lebt, gestaltet dort das Leben mit, knüpft Beziehungen und schließt Freundschaften,
Für mich bedeuten die Worte des Monatsspruchs heute: Engagiere Dich dort, wo Du lebst. Selbst wenn Du an diesem Ort nicht allzu lange bleiben wirst und vielleicht bald schon wieder umziehst. Auch wenn es wenig ist, du trägst damit schon viel zu einem guten Zusammenleben bei. Es muss nicht gleich ein großes Ehrenamt sein. Tue, was für Dich möglich ist, was Dich erfüllt, du lernst andere Menschen kennen und Du wirst Dich selber wohlfühlen, dort wo Du lebst.
Felix Breitling
Sonntag, 4. Oktober
Predigt von Pfarrer Felix Breitling siehe Predigten zum Nachhören
Samstag, 3. Oktober
Den 3. Oktober 1990 habe ich in Lancaster, Pennsylvania in den USA verbracht. Ich hatte gerade mein Auslandsstudienjahr am Lancaster Theological Seminary begonnen. An dieser theologischen Fakultät war es üblich an jedem Mittwoch-Mittag in der hauseigenen Kapelle einen Abendmahlsgottesdienst zu feiern. Nicht genau zu diesem Datum, aber in dieser Zeit wurde ich gebeten in einem solchen Gottesdienst von den dramatischen Umbrüchen in Deutschland zu erzählen. Meine Mitstudierenden und die Dozent*innen hatten die Ereignisse interessiert und berührt mitverfolgt und waren neugierig quasi „live“ von meinen Eindrücken zu hören.
Ich weiß nicht mehr genau, was ich gesagt habe, aber ich erinnere mich, dass ich mit diesen Worten begonnen hatte: „I cried for joy when the wall came down“.
Und das war nicht übertrieben. Die Fernsehbilder im Herbst 1989 hatten mich wirklich zu Tränen gerührt. Wie vielen anderen ging es auch mir so, dass ich kaum zu glauben wagte, was da geschah. Und dann war es 1990 besiegelt. Die Vereinigung war damit nicht erledigt, aber entscheidend auf den Weg gebracht. Und jetzt 30 Jahre danach können wir stolz sein auf das, was sich alles bewegt und vollzogen hat. Ist es perfekt? Sicher nicht. Nach dem gewaltsamen Akt der Teilung kann die Vereinigung nicht ohne Narben bleiben. Aber mit Narben kann man leben. Sie halten in Erinnerung, dass gesellschaftliches Miteinander ohne Unterlass gehegt und gepflegt werden muss. Das geschieht auf unterschiedlichste Weise und Motivation. Für mich geschieht es aus dem Vertrauen auf Gottes segnende Begleitung heraus. Dieses Vertrauen erzeugt Mut und Zuversicht.
So wie es in dem Lied ausgedrückt ist:
Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist.
Weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt.
Seit leuchtend Gottes Bogen am hohen Himmel stand,
sind Menschen ausgezogen in das gelobte Land.
Vertraut den neuen Wegen und wandert in die Zeit!
Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid.
Der uns in frühen Zeiten das Leben eingehaucht,
der wird uns dahin leiten, wo er uns will und braucht.
Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt!
Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land.
Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit.
Die Toren stehen offen. Das Land ist hell und weit.
EG 395. Text: Klaus Peter Hertzsch 1989, Melodie: Lob Gott getrost mit Singen
Verena Übler
Freitag, 2. Oktober
Von einem Mann in Neuguinea wird erzählt, er sei immer nach dem Sonntagsgottesdienst in der Kirche zurückgeblieben. Er saß mit über der Brust gekreuzten Armen da und schaute auf den Altar, der leer und ungeschmückt war. Der Missionar, der sich über den ständigen Gast wunderte, ging auf den Mann zu und fragte ihn, was er denn die ganze Zeit bete. Der lächelte nur und antwortete: „Ich halte meine Seele in die Sonne.”
Beten, die Seele in die Sonne halten - da spüre ich Wärme und Licht. Und ich denke daran, wie es ist, wenn ich glücklich bin, mich sicher und geborgen fühle.
Alles ist denen gestattet, die beten. Jedes Wort, jede Haltung des Körpers, jede Tonlage der Stimme. Es braucht keine niedergeschlagenen Augen und keine bleischwere Zunge, keine Standardformulierungen, keine besonders heiligen Zeiten und keine konkreten Orte um zu beten.
Beten kann in der U-Bahn geschehen, in der Schule, im Wald, abends im Bett oder tagsüber beim Geschirrspülen. Beten, das sind nicht allein Worte, sondern auch Farben und Klänge.
Beten gehört zu den Momenten des Glücks und den Stunden des Leids.
Im 5. Kapitel des Jakobusbriefes steht:
„Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Muts, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.”
Beten heißt, die Seele in die Sonne halten, Wärme und Geborgenheit spüren.
Verena Übler
Donnerstag, 1. Oktober
In Eichstätt steht im Kreuzgang neben dem Dom dieser wunderschöne Brunnen in Form eines Labyrinths. Das Wasser strömt dort aus der Mitte, fließt durch sämtliche Windungen, bis es am äußersten Rand ankommt.
Das Symbol des Labyrinths wurde bereits früh im Christentum verwendet. Vor allem in gotischen Kirchen stellen die Bodenplatten im Eingangsbereich manchmal begehbare Labyrinthe dar. Eines der bekanntesten (dem dieser Brunnen auch nachgebildet wurde) ist in die Kathedrale von Chartres in Frankreich.
Nicht zu verwechseln mit einem Labyrinth ist ein Irrgarten. Während man beim Irrgarten wegen der vielen Sackgassen erst den richtigen Weg suchen muss und man sich tatsächlich verirren kann, führt durch das Labyrinth genau ein Weg. Wer diesen Weg durch alle Windungen sorgfältig verfolgt, kommt auf jeden Fall sicher an.
Das Labyrinth kann als Symbol für den Lebensweg bzw. den Weg zu sich selbst verstanden, werden:
Jedes Leben hat viele Umkehrpunkte, viele unerwartete Wendungen. Manchmal geht es geradeaus auf ein Ziel zu - und dann kommt die nächste Wendung und man entfernt sich scheinbar wieder davon, verliert es oft ganz aus den Augen.
Aber auch die Umwege führen trotzdem zum Ziel. Egal, wie lange der Weg dauert, wie oft man die Richtung wechselt, wie oft man das Ziel (oder die Ziele) aus den Augen verliert – man kann auf dem Weg nicht verloren gehen und kommt am Ende in der Mitte an.
Mathias Brandstätter