Januar 2023

Montag, 30. Januar

Bei manchen Themen, die in unserer Gesellschaft heftig diskutiert werden, fällt gelegentlich das Wort "Gutmensch".
Meist als ein vergiftetes Lob, das eigentlich das Gegenteil bedeutet und provozieren soll.

Aber sollte nicht jeder/jede von uns danach streben, ein guter Mensch zu sein?
Und wie äußert es sich, ein guter Mensch zu sein?
Wie muss / darf / soll ich mich da verhalten?

Vor kurzem habe ich dazu folgendes Zitat von Leo Tolstoi gefunden:

Jemand fragte mich: Sind Sie ein guter Mensch?
Ich antworte: Zu sagen, ich sei ein guter Mensch, wäre Hoffart, hieße also, ich sei kein guter Mensch; zu sagen, ich sei ein schlechter Mensch, wäre Koketterie.
Die Wahrheit ist, ich bin mal ein guter und mal ein schlechter Mensch.
Das ganze Leben verläuft so, dass es sich wie eine Harmonika zusammenzieht und dehnt und wieder zusammenzieht - vom Schlechten zum Guten und wieder zum Schlechten.
Gut zu sein bedeutet nur, den Wunsch zu haben, häufiger gut zu sein. Und diesen Wunsch habe ich.


(Leo N.Tolstoi)

Mathias Brandstätter


Freitag, 27. Januar

Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von Soldaten der Roten Armee befreit.
In diesem Jahr stehen im Mittelpunkt der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus gedemütigt, verfolgt und ermordet wurden.
Auch nach 1945 galt noch der § 175 StGB, nach dem Männer wegen homosexueller Handlungen verurteilt wurden. Die LGBTIQ* (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers), die die NS-Verfolgung überlebt hatten, wurden in beiden Teilen Deutschlands nicht als Opfer des NS-Regimes anerkannt. Sie blieben rechtmäßig verurteilt. Auch in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden Homosexuelle aufgrund des von den Nationalsozialisten verschärften § 175 StGB verfolgt und diskriminiert.
Auch heute erleben LGBTIQ* gesellschaftliche Diskriminierung. Christ*innen tragen Verantwortung dafür, dass Diskriminierung von LGBTIQ* keinen Platz hat.

In München wird im NS-Dokuzentrum noch bis zum 21. Mai die Ausstellung TO BE SEEN.queer lives 1900-1950 gezeigt: https://www.nsdoku.de/tobeseen

Felix Breitling


Mittwoch, 24. Januar

„Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“ – das sagen wir manchmal schmunzelnd, wenn wir uns mit etwas vertan haben oder etwas überlesen oder falsch interpretiert haben. Allerdings steckt in dieser Aussage eine tiefe Wahrheit. Wer lesen kann, dem oder der öffnen sich Türen. Volle Teilhabe in unserer Gesellschaft wird erst möglich, wenn man mindestens einigermaßen gut lesen kann. Martin Luther hat das schon 1524 erkannt und dazu die Schrift verfasst: „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen.“ Damit hat er den Grundstein für das spätere, öffentliche Schulwesen in Deutschland gelegt. Die Bildungszustände damals in Deutschland waren nämlich katastrophal. 
Anlässlich des Internationalen Tags der Bildung gestern, am 24. Januar, erinnere ich daran, dass weltweit über 700 Millionen Erwachsene nicht lesen und schreiben können. Das betrifft vor allem Frauen, auch bei uns. Setzen wir uns dafür ein, dass das nicht so bleibt, z.B. indem wir Lesepaten und Lesepatinnen werden bei lesezeichen-muenchen.de.

Verena Übler


Montag, 22. Januar

Sieben Weltwunder

Auf der Erde gibt es viele wunderbare Landschaften und Bauwerke. Schon vor über 2000 Jahren wurde in einem antiken Reiseführer eine Liste erstellt mit den großartigsten Bauwerke, die sog. Sieben Weltwunder der Antike. Von ihnen sind inzwischen nur noch die Pyramiden von Gizeh erhalten.
Folgende Geschichte, die ich kürzlich gefunden habe, beschäftigt sich auch mit den Sieben Weltwundern:

Eine Schulklasse bekam als Aufgabe, eine Liste der Sieben Weltwunder zu erstellen.
Die meisten waren schnell mit der Aufgabe fertig, und hatten z.B. die Pyramiden in Ägypten oder den Grand Cayon in den USA auf ihrer Liste stehen.
Nur eine Schülerin brauchte sehr lange und die Lehrerin fragte sie, ob sie Probleme mit der Liste hätte.
Sie antwortete: "Ja, es gibt so vieles, dass ich mich nicht entscheiden kann."

Die Lehrerin meinte: "Nun, vielleicht kann ich helfen. Was hast Du denn schon aufgeschrieben?"

Die Schülerin zögerte erst ein wenig, aber dann sie las sie vor:
"Für mich sind die Sieben Weltwunder:
 - Sehen
 - Hören
 - Riechen
 - Fühlen
 - Berühren
 - Lachen
 - ... und Lieben"

(Autorenschaft unbekannt)

Mathias Brandstätter


Samstag, 21. Januar

„Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“
 

Morgen, am 21. Januar, ist der Todestag von Matthias Claudius (1740-1815), des Dichters des Liedes „Der Mond ist aufgegangen“.
Besonders diesen Liedvers mag ich, weil er uns die Grenzen unseres Wissens und unserer Erkenntnis vor Augen führt. Vieles ist in Wirklichkeit gar nicht so, wie wir es mit unseren Augen betrachten. Wir sehen den Mond nur halb, doch eigentlich ist er rund und schön.
Ich glaube, es tut uns und unserem Zusammenleben gut, wenn wir uns der Grenzen unserer Erkenntnis bewusst sind und innehalten, bevor wir vorschnell etwas äußern. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, soll Sokrates gesagt haben. Ein weiser Satz.

Felix Breitling


Mittwoch, 18. Januar

Fundstück
aus dem Magazin zum Kirchenjahr – andere zeiten

Die Äbtissin eines Klosters spielte gerne mit einem zahmen Rebhuhn. Eines Tages kam ein Jäger vorbei, sah sie im Gras sitzen und wunderte sich. Er fragte sie: „Ehrwürdige, warum spielen Sie? Ist das nicht Zeitverschwendung?“ Die Äbtissin richtete sich auf, schaute ihn verwundert an, deutete auf seinen Bogen und gab zurück: „Warum hältst du diesen Bogen nicht ständig gespannt?“ – „Wenn ich das tue, verliert er seine Spannkraft und versagt im entscheidenden Augenblick!“ Die Äbtissin nickte und sprach: „Siehst du, so ist das auch bei mir: Wenn ich hin und wieder einfach nur spiele, dann habe ich im entscheidenden Augenblick die Energie, das zu tun, was meine ganze Konzentration fordert.“

Verena Übler


Montag, 16. Januar

Am Grünen Markt an der Baumkirchner Straße steht seit einigen Jahren ein offener Bücherschrank.
Immer wenn ich daran vorbeikomme und ein wenig Zeit habe, dann stöbere ich meistens kurz durch das Buchregal. Und dabei entdecke ich nicht selten Bücher, die mich interessieren und die ich dann gerne lese.
So fand ich vor kurzem zufällig ein kleines Buch mit Texten von Helmut Zöpfl 1) und schon beim ersten Durchblättern fiel mir der folgende Text auf:

"Es kommt auf mich an...

Das erste gute Wort zu finden,
ein Licht im Dunkeln anzuzünden.
Ein bisschen lächeln, freundlich schauen,
dem Leben wieder zu vertrauen.

Mit offnen Augen rumzugehen,
das viele Gute, Schöne sehen.
Wald, Wiese, See, Natur zu achten
und nicht als Müllplatz zu betrachten.

Nicht nur ans eigne Wohl zu denken,
dem anderen Geduld zu schenken.
Wenn was nicht recht ist, sich zu rühren,
und sich für Gutes engagieren.

Es kommt auf mich an,
es kommt auf dich an,
damit die Erde
noch besser werde.

Es kommt auf mich an,
es kommt auf dich an,
dass wir durch unser Leben
ein gutes Beispiel geben."


Ja, es kommt auf jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns an. Dem ist - finde ich - nichts hinzuzufügen.

Mathias Brandstätter

1)Helmut Zöpfl, „Ein gutes Wort zur rechten Zeit“, 2002, Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG


Freitag, 13. Januar

Am Mittwoch ging es um die Jahreslosung, heute um die Losung des Tages, genauer gesagt um den sogenannten Lehrtext:
„Wir sind Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2.Korinther 5,20)
Ich musste schmunzeln beim Lesen, denn zu diese

m Vers gibt es eine Anekdote: Einmal hat sich eine Gruppe mit dem Text beschäftigt und dann wurde ganz intensiv diskutiert: Was heißt Versöhnung angesichts von Gewalterfahrungen und Leid? Ist Versöhnung überhaupt möglich? Welche Anstrengungen müssten wir unternehmen, um in einer versöhnten Welt zu leben? Und dann, mitten im Gespräch hat sich eine Frau versprochen und gesagt: „Lasst euch mit Gott verwöhnen!”
Da haben natürlich alle gelacht und sich den Satz auf der Zunge zergehen lassen: „Lasst euch mit Gott verwöhnen!” 
Aber – ist es nicht so? Ist die „Versöhnung” mit Gott nicht genau genommen eine „Verwöhnung?” Sind wir nicht von Gottes Zuwendung und Liebe „verwöhnte” Menschen?
Oder denken wir bei Verwöhnung eher an die Ermahnung von Eltern an Großeltern: Ihr dürft das Kind nicht so verwöhnen! Sie hat schon auch einen negativen Beigeschmack, die Verwöhnung. 
Eigentlich schade, denn wir werden doch alle gern mal verwöhnt, oder? 
Verwöhnung ist mehr als das unbedingt Notwendige. Verwöhnung hat etwas Verschwenderisches, Spielerisches, ist Lebensfreude. Wir brauchen alle Verwöhnung, an Körper und Seele. 
Und auch die Gottesverwöhnung brauchen wir. Als Kraftquelle für unseren Alltag im neuen Jahr.

Verena Übler


Mittwoch, 11. Januar

"Du bist ein Gott, der mich sieht" lautet die Jahreslosung für das Jahr 2023. Gesehen werden ist ein Grundbedürfnis von uns Menschen. Säuglinge brauchen den Blickkontakt ihrer Eltern. Da ist jemand, der sich für mich interessiert, der für mich da ist. Das Bedürfnis, gesehen und wahrgenommen zu werden, so wie es mir gerade geht, zieht sich durch unser ganzes Leben hindurch. Nicht gesehen, nicht wahrgenommen zu werden, verletzt und kränkt. 
Die Jahreslosung stammt aus dem ersten Buch Mose. Abraham und Sara, beide schon sehr betagt, wünschen sich ein Kind, können jedoch keines bekommen. Sara macht nun den Vorschlag, dass Hagar, ihre ägyptische Magd, als Leihmutter ein Kind für sie gebären könne. Hagar wird von Abraham schwanger. Als Sara dies erfährt, behandelt sie Hagar immer schlechter, demütigt sie, behandelt sie wie Dreck. Hagar flieht in ihrer Verzweiflung die Wüste. An einer Wasserquelle begegnet ihr ein Engel und verspricht ihr und ihrem künftigen Sohn Ismael Zukunft. Erfüllt von dieser Begegnung, spricht Hagar den Namen Gottes aus: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Hagar hat erfahren: Gott hat sie gesehen in ihrer Not.
Du, Gott, siehst mich, mit allem, was mich bewegt. Mit dem, was mich schmerzt. Was mir Angst macht. 
Ich habe bei der Jahreslosung an die Verse aus dem Lied „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen“ (EG 56) denken müssen: „Bist du der eignen Rätsel müd? Es kommt, der alles kennt und sieht!“ Er sieht dein Leben unverhüllt, zeigt dir zugleich dein neues Bild.“ Oft kennen wir uns selbst nicht, sind auf der Suche nach uns selbst. Sind uns selbst ein Rätsel.
Es tröstet mich, dass ich immer weiß: Gott kann ich jederzeit sagen, wie es mir geht, ohne etwas beschönigen zu müssen. So verworren es ist, wenn ich nicht weiß, wie es weitergeht. Du bist ein Gott der mich sieht und der weiß, wie es mir geht. Du siehst mehr, als Menschen sehen. „Du erforschest mich und kennest mich“ heißt es in Psalm139 und „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“ im 1. Buch Samuel (1, Sam 16,7).
Auch Jesus sieht die Menschen an, die nicht gesehen werden, über die hinweggeschaut wird. Die am Rand stehen. Den Zöllner Zachäus, der auf dem Baum sitzt. Die blutflüssige Frau, die sich nach Heilung sehnt. Durch ihn erfahren sie: Endlich werde ich gesehen. Es löst sich etwas in ihrem Leben. Er weiß, wie bedürftig wir Menschen nach Zuwendung sind.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“. Ich weiß, ich werde gesehen, mit allem: Mit meiner Freude, meiner Enttäuschung, meinen Erfolgen und Misserfolgen, meiner Angst und meiner Sehnsucht, meinen Fragen.

Felix Breitling


Freitag, 6. Januar 2023

„Die Gekrümmte nannten sie mich. Lukas hat von mir erzählt. Habt ihr nur die leiseste Ahnung, was das bedeutet? 18 Jahre lang für alle und alles den Buckel hinhalten? 18 Jahre immer kleiner werden - bis ich am Ende nur noch den Boden unter meinen Füßen sehen konnte.

„Kopf hoch!“ sagte meine Mutter, wenn ich als Kind traurig nach Hause kam, „halt dich gerade, das wird schon wieder.“ Aber es wurde nicht. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer.

„Du nimmst alles so schwer“, sagten meine Freundinnen und ließen mich stehen.

„Ach, die da“, sagten die Leute und hielten Abstand.

Immer wieder wurde ich übersehen. Liebe? Fehlanzeige.

Nur einmal war alles anders. Einmal kam einer, der hat hingeschaut und mich angesehen. Direkt angesehen.

„Frau“, hat er gesagt - nicht: he, du da - „Frau, sei frei von deiner Krankheit.“

Dann hat er den Arm um mich gelegt und mir von den Schultern genommen, was mich niedergedrückt und so verzagt gemacht hat.

„Warum schaut ihr so? Das ist doch Abrahams Tochter! Das ist eine Frau mit Zukunft!“, hat er allen gesagt, die sich aufregten, weil es zur Gottesdienstzeit geschah.

Eine Frau mit Zukunft! Nach 18 verlorenen Jahren! Ich konnte es kaum glauben.

Gekrümmtsein macht Angst und Angst verkrümmt. Und jetzt das! Zum ersten Mal konnte ich befreit Durchatmen. Zum ersten Mal konnte auch ich dem Aufruf glauben:

Erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Endlich schaue ich nach vorn. Und ich weiß: Die Lasten, die ich zu tragen habe, werden mich nicht klein kriegen. Mit Jesus stehe ich aufrecht und gerade vor Gott und den Menschen.“

[inspiriert von Margarete Niggemeyer, Frauen begegnen Jesus]

Verena Übler